ESMA Report: Auswirkungen, Kosten & Nutzen von T+1 in Europa (Teil 1)
Die Einführung des verkürzten Settlement-Zyklus T+1 könnte den europäischen Finanzmarkt nachhaltig verändern. Der Wechsel von T+2 zu T+1, wie von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) vorgeschlagen, zielt darauf ab, Abwicklungsprozesse effizienter zu gestalten, Risiken zu reduzieren und die Marktintegration zu fördern. Gleichzeitig bringt die Umstellung erhebliche Herausforderungen mit sich: komplexe Marktstrukturen, hohe Umstellungskosten und die Notwendigkeit umfassender Automatisierung. Dieser Artikel analysiert die Kernpunkte des ESMA-Berichts, beleuchtet die Chancen und Risiken von T+1 und zeigt auf, welche Anpassungen notwendig sind, um diesen Wandel erfolgreich zu meistern.
Kernaussagen der ESMA zur Einführung von T+1
- Der Anwendungsbereich von Artikel 5(2) der Central Securities Depositories Regulation (CSDR) bleibt unverändert.
- Börsengehandelte Wertpapiere werden zukünftig mit T+1 abgewickelt.
- FI-Futures und SFTs können zukünftig ebenfalls mit T+1 abgewickelt werden.
- Primärmarktgeschäfte, wie beispielsweise Fondsanteilsscheine, sind weiterhin ausgenommen.
Aktueller Settlement Prozess und Herausforderungen
Der Status Quo der Abwicklung in Europa
Der aktuelle Settlement-Prozess in Europa ist geprägt von zahlreichen Akteuren und komplexen Abläufen:
- Operationelle Perspektive: Zahlreiche Prozessschritte müssen von verschiedenen Marktteilnehmern durchgeführt werden.
- Regulatorische Perspektive: Diese Prozessschritte werden aus regulatorischer Sicht oft unabhängig voneinander betrachtet, z. B. Trading, Clearing und Settlement.
Exemplarischer Ablauf eines Handelsgeschäfts in Aktien, bei dem nur ein Central Securities Depository (CSD) in der Abwicklung involviert ist:
- Ein Käufer/Verkäufer übermittelt eine Order an einen Broker, der diese an die Trading Venue weiterleitet.
- Nachdem die Parteien des Handels die Ausführungsbestätigung erhalten haben, werden die Abwicklungsdetails wie Allocation und Confirmation ausgetauscht.
- Bei clearingpflichtigen Trades übernimmt die zentrale Gegenpartei (CCP) das Netting und stellt Margin-Forderungen.
- Anschließend führt der CCP das Netting der Transaktionen durch, sendet Settlement Informationen an die entsprechenden Settlement-Agends und/oder CSDs, berechnet den Exposure für alle offenen Transaktionen und stellt entsprechende Margin-Forderungen.
- Settlement-Instruktionen werden entlang der Verwahrkette vom letztendlichen Käufer und Verkäufer an den CSD gesendet.
- Die Settlement-Instruktionen werden vom CSD gematcht. Nach Durchführung des finalen Settlement werden die Bestätigungen über den Abschluss des Geschäfts an den Käufer und Verkäufer gesendet.
Problemfelder im aktuellen Prozess:
- Nicht alle Prozesse für WP-Settlement sind standardisiert.
- Eine Vielzahl an Stakeholdern ist in die Abwicklungsprozesse involviert.
- Die Post-Trading Infrastruktur in der EU ist äußerst komplex: 90 Trading Venues, 14 CCPs und 34 CSDs – davon 24 TARGET2-Securities (T2S)-CSDs und 11 Währungen.
Aufgrund der Komplexität eines Trade-Lifecycle in Europa hat die ESMA Settlement-Daten von T2S und non-T2S CSDs zusammengetragen. Die Daten liefern eine Übersicht über die Transaktionen und Wertpapierarten die aktuell an T+0, T+1, T+2, oder darüber hinaus abgewickelt werden.
Auswirkungen von T+1 auf Post-Trading-Prozesse
Trading Venues und Handelszeiten
Die Einführung von T+1 verkürzt das Zeitfenster für Post-Trade-Prozesse erheblich.
- Europäische Handelsplätze schließen meist zwischen 17:30 und 20:30 Uhr CET.
- Unter dem verkürzten Settlement-Zyklus auf T+1 bleibt nach Handelsschluss ein Zeitfenster von etwa zwei Stunden, um alle notwendigen Post-Trade-Prozesse durchzuführen. Ziel ist es, die Transaktionen in den ersten Nacht-Settlement-Zyklus (NTS) einzubringen. Dieser Zyklus ist entscheidend, da er durch das Netting die Effizienz der Abwicklung maximiert.
Da ein Großteil der Handelsaktivitäten kurz vor Handelsschluss erfolgt, besteht das Risiko, dass Transaktionen nicht rechtzeitig für den NTS verarbeitet werden können. Verpassete Transaktionen müssen im nachfolgenden Real-Time-Settlement (RTS) abgewickelt werden. Das kann zu höheren Kosten und einer geringeren Effizienz führen.
Pre-Settlement Prozesse
Die Einführung von T+1 erfordert den Abschluss des Austauschs von Allocation und Confirmation bis zum Ende des Geschäftstags (EOB), sofern die Handelsparteien in derselben Zeitzone agieren.
- Insbesondere bei unterstützenden Prozessen wie dem Positions-Management, der Wertpapierleihe und dem FX-Trading ist dafür eine umfassende Automatisierung notwendig.
- Kleinere Marktteilnehmer stehen vor größeren Herausforderungen. Sie müssen im Verhältnis höhere Investitionen in Automatisierung und Standardisierung aufbringen.
- Gleichzeitig bietet T+1 die Chance, den Abwicklungsmarkt im Sinne der Single Investor Unit (SIU) weiter zu harmonisieren und Effizienzgewinne zu erzielen.
Die ESMA betont jedoch, dass die Kosten für die notwendigen Anpassungen potenziell auf End-Investoren umgelegt werden könnten. Dennoch sieht sie in den kürzeren Abwicklungsketten unter T+1 einen klaren Wettbewerbsvorteil, der durch schnellere Prozesse und geringere Risiken erzielt werden kann.
Clearing-Prozesse
Die Einführung von T+1 könnte Anpassungen bei der Berechnung der Margins erforderlich machen.
- Derzeit werden Margins intra-day und end-of-day berechnet. Um Geschäfte nahe des Handelsschlusses besser abzubilden, müssen die Margin-Berechnungen angepasst werden.
- Sollte der Handel nach dem Cut-Off für den NTS-Zyklus (Nacht-Settlement) fortgesetzt werden, könnten die Netting-Effekte reduziert werden. Eine Einschränkung des Netting-Potenzials könnte die Effizienz der Clearing-Prozesse beeinträchtigen und zu höheren Kosten führen.
Settlement-Prozess
- Die Einführung von T+1 macht eine verbesserte Standardisierung und Verarbeitung von Standard Settlement Instructions (SSIs) unerlässlich, um Settlement Fails zu minimieren und eine termingerechte Abwicklung sicherzustellen.
- Unter T+1 wird eine deutliche Verschiebung hin zum RTS erwartet. Dies könnte zu höheren Belastungen und potenziellen Engpässen führen.
Erfahrungen aus anderen T+1-Märkten zeigen, dass durch Anpassungen der Settlement-Zeiten eine Balance zwischen NTS und RTS möglich ist. Eine Verschiebung des NTS-Zyklus wäre ebenfalls denkbar, würde jedoch erhebliche Aufwände für CSDs und das T2S-System mit sich bringen. Diese Maßnahmen erfordern sorgfältige Planung, um die Effizienz der Abwicklung zu gewährleisten.
Asset Manager, Fonds und ETFs
Die Einführung von T+1 könnte bestehende Herausforderungen im Fondsmanagement verschärfen, insbesondere im Hinblick auf das Funding-Gap, das durch unterschiedliche Settlementzyklen zwischen Fondsanteilsscheinen und den Zielinvestments der Fonds entsteht. Dieses Ungleichgewicht kann zusätzlich zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung bestimmter Anlagegrenzen führen.
- Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Prozesse zwischen Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVGen), Asset Managern und anderen beteiligten Parteien überprüft und optimiert werden.
- Für ETFs ergeben sich spezifische Herausforderungen, da der Handel auf dem Sekundärmarkt in der Regel nach den Zeichnungen und Rücknahmen auf dem Primärmarkt stattfindet. Diese Prozesse können sich über mehrere Tage erstrecken (bis zu T+3 oder T+4). Wenn ETF-Anteile speziell für Sekundärmarkttransaktionen erstellt werden müssen, kann dies zu Abrechnungsfehlern führen, da die verkürzte Frist bei T+1 weniger Zeit für die Abwicklung lässt. Diese Diskrepanz zwischen Primär- und Sekundärmarkt wird durch T+1 weiter verstärkt.
Die notwendigen Investitionen in Systeme und Prozesse zur Bewältigung dieser Herausforderungen werden insbesondere kleinere Marktteilnehmer stark belasten. Dies könnte zu einer weiteren Konsolidierung in der Branche führen, da kleinere Akteure möglicherweise nicht über die Mittel verfügen, um die hohen Anpassungskosten zu stemmen.
Corporate Action Processing
Key-Dates für Corporate Actions sind anhand des Settlementzyklus definiert und ändern sich demensprechend unter T+1.
Zukünftig muss sichergestellt werden, dass Corporate Actions sicher im Rahmen einer T+1 Umgebung abgewickelt werden können und ein Anstieg von Market-Claims vermieden wird. Marktstandards müssen strikter eingehalten werden, was umfassende Prozessanpassungen nach sich zieht.
Kosten- und Nutzen-Analyse
Die Analyse der ESMA zur Kosten-Nutzen-Relation der Einführung des T+1-Settlement-Zyklus basiert auf einer Kombination aus quantitativen Daten und qualitativen Bewertungen.
Vorteile von T+1
- höhere Harmonisierung, Standardisierung und Automatisierung
- bessere Marktintegration für zukünftige strategische Projekte wie die SIU
Rückmeldungen von 11 relevanten CCPs zeigten außerdem folgende Vorteile:
- Reduzierung offener Positionen um ca. 47%.
- Kein erhöhtes Risiko von steigenden Margins durch höhere Settlement-Fails.
- Reduzierung der Margin-Anforderung um bis zu 42% (ca. 2,4 Mrd. EUR).
- Je nach Markt und CCP variiert die Margin-Reduktion zwischen 38% und 49%.
- 80% dieser Vorteile entfallen auf Equities und 20% auf Staatsanleihen. In Zeiten hoher Handelsvolumina können diese jedoch auf bis zu 70% ansteigen. Anpassungen an verschiedenen Cut-Offs und Prozessen sind notwendig.
Herausforderungen
- Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen in die Verbesserung ihrer Abwicklungseffizienz investieren.
- Die Implementierung von T+1 könnte nach Schätzungen der ESMA bis zu 5,3 Mrd. Euro kosten.
Unterschiedliche Settlementzyklen
- Der globale Trend zeigt eine klare Entwicklung hin zum T+1 Settlement.
- Im aktuellen Setting wirkt sich der verkürzte Settlementzyklus jedoch verstärkt aus und sorgt für zusätzliche Kosten.
Nach Eischätzung der ESMA ist es wichtig, dass die EU den Schritt zu T+1 ebenfalls vollzieht, um auch in Technologie, Prozessen und Risikomanagement nicht abgehängt zu werden.
Auswirkungen von T+1
ETF Geschäft
Nach der Einführung von T+1 in den USA wurde ein Anstieg des Premiums auf EU-ETFs, die in US-Aktien investieren, festgestellt. Dies könnte auf eine zurückgehende Liquidität und verringerte Arbitrage-Tätigkeit hinweisen.
Zwar ist die Zeitspanne für die aktuellen Analysen sehr gering und sollte mit Vorsicht betrachtet werden, jedoch ist zu erwarten, dass mit einem Schritt auf T+1 durch UK und die Schweiz weitere Negativeffekte auftreten.
Corporate Actions
Durch T+1 ändern sich die Stichtage für Kapitalmaßnahmen. Dies betrifft insbesondere Wertpapiere, die sowohl in den USA als auch in der EU gehandelt werden.
Marktinfrastruktur
CSD und T2S können laut Umfrageergebnissen der ESMA heute schon mit T+1 settlen.
Jedoch sind weitere Anpassungen an Prozessen und Cut-Off-Zeiten notwendig, um die Marktteilnehmer zu befähigen, diese Möglichkeit auch zu nutzen.
Securities Financing Transactions
Ein Rückgang der Wertpapierleihe könnte folgen, da Market Maker möglicherweise weniger kurzfristige Leihgeschäfte eingehen und Leihe-Geber zögern könnten, rechtzeitig zurückzugeben.
Die Entwicklungen in den USA zeigen jedoch, dass sowohl die Leihe-Aktivität als auch die Leihe-Kosten nach der Umstellung auf T+1 stabil blieben.
Geschätzte Kosten für Marktteilnehmer
Verschiedenen Banken haben Kosten für die Umstellung auf T+1 zwischen 3 Mio. EUR und 10 Mio. EUR gemeldet. Zum Vergleich: Die Kosten für US Broker Dealer lagen zwischen 8,7 mio. EUR und 12,7 mio. EUR.
Insgesamt werden die Kosten von der ESMA auf 1,6 Mrd. bis 5,3 Mrd. EUR geschätzt.
Fazit: Einführung von T+1 in Europa
Die Umstellung auf den kürzeren Settlement-Zyklus T+1 stellt einen entscheidenden Schritt für die Zukunft des europäischen Finanzmarktes dar. Durch die Verkürzung des Settlement-Zyklus können Abwicklungsprozesse effizienter gestaltet und Risiken im Wertpapierhandel deutlich reduziert werden. Zudem ermöglicht T+1 eine stärkere Marktintegration und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der EU im internationalen Vergleich.
Trotz dieser Vorteile sind die Herausforderungen erheblich. Die Einführung von T+1 erfordert umfassende Investitionen in Automatisierung, Standardisierung und die Anpassung bestehender Infrastrukturen. Besonders kleinere Marktteilnehmer könnten durch die hohen Kosten belastet werden.
Langfristig überwiegen jedoch die Vorteile: Die Reduzierung offener Positionen, geringere Margin-Anforderungen und ein effizienteres Post-Trade-Management stärken die Marktstabilität und fördern die Harmonisierung europäischer Finanzmärkte. Mit einer gezielten Vorbereitung und klarer Strategie kann die Umstellung auf T+1 zu einem Wettbewerbsvorteil für den europäischen Kapitalmarkt werden.
Das Original Dokument der ESMA finden Sie hier.
FAQ zu T+1
1. Was bedeutet T+1 im Wertpapierhandel?
T+1 steht für einen verkürzten Settlement-Zyklus, bei dem Transaktionen einen Tag nach Handelsabschluss (T) abgewickelt werden.
2. Warum wird T+1 in Europa eingeführt?
Die Einführung von T+1 zielt darauf ab, Abwicklungsprozesse effizienter zu gestalten, Risiken zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit von Europa zu fördern.
3. Welche Vorteile bietet T+1?
T+1 reduziert offene Positionen, verringert Margin-Anforderungen und steigert die Effizienz im Post-Trade-Management.
4. Welche Herausforderungen bringt T+1 mit sich?
Die Umstellung erfordert hohe Investitionen in Automatisierung, Standardisierung und Infrastruktur. Besonders kleinere Marktteilnehmer könnten dadurch belastet werden.
5. Wie beeinflusst T+1 ETFs und Fonds?
Die verkürzten Settlement-Fristen können bestehende Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärmarktprozessen verstärken, was zusätzliche Herausforderungen für ETFs und Fondsmanagement bedeutet.
6. Was kostet die Umstellung auf T+1?
Laut ESMA könnten die Umstellungskosten für den europäischen Markt zwischen 1,6 und 5,3 Mrd. EUR liegen.